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Abhandlungen

der

Königlichen Akademie der Wissenschaften

zu Berlin.

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Abhandlungen

der

Königlichen

Akademie der Wissenschaften

zu Berlin.

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Aus dem Jahre

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Nebst der Geschichte der Akademie in diesem Zeitraum.

Berlin.

Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften.

1836.

Ina Commission bei F. Dümmler.

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Historische Einleitung... ers eesersereneesonnnnnne ER RERNTE Be elee nee Seite: I Verzeichnils der Mitglieder und Correspondenten der Akademie ........ Berne = NH

Abhandlungen der physikalisch - mathematischen Klasse.

“KARSTEN über die chemische Verbindung der Körper (vierte Abhandlung: die

chemische Wahlverwandtschaft) ...zseess0r 0.» OR ... Seite 1

ERORERTE: Zur Dhenrie der. Ehenevwe seems emeasegie ee nenne seen a = 28 v » MÜLLER: Vergleichende Anatomie der Myxinoiden, der Cyclostomen mit durch-

bohrtem Gaumen (erster Theil: Osteologie und Myologie) ..... - 65

" POSELGER über das zehnte Buch der Elemente des Euklides ............. SO - 341

Link über den Bau der Farrnkräuter (erste Abhandlung) ..... een erde - 375

ENcKE über die Formeln für die Variation der Constanten bei den planetarischen SEOLUNSSLECHN UNE EN We ee er - 389 V »“EHRENBERG: Das Leuchten des Meeres. Neue Beobachtungen nebst Übersicht der Hauptmomente der geschichtlichen Entwicklung dieses merkwür- digen Phänomens ............ ee re Salsa eisrelrierefelenat eng hl v '‘ DirksEn über die Darstellbarkeit der Wurzeln einer allgemeinen algebraischen

Gleichung mittelst expliciter algebraischer Ausdrücke von den

Hecheientenmeeeeke ee one sseietejefere a eanhrye Seeeeste - 577

VWeıss über das Gypssystem (Nachtrag zu der Abhandl. über dasselbe vom J.1821.) - 623

v YLEJEUNE-DIRICHLET: Einige neue Sätze über unbestimmte Gleichungen........ - 649 " VEHRENBERG: Beobachtung einer bisher unbekannten auffallenden Structur des Seelen-

organs bei Menschen und Thieren ..uuereeeeeeseneneenenenene 7 665

YH. Rose über das wasserfreie schwefelsaure Ammoniak @ssernecenene esse ee 129

Derselbe über das wasserfreie schweflichtsaure Ammoniak zuseseeeeesneeseenen = 787

TREVIRANUS: De Aldrovandae vesiculosae et Mesembryanthemi foliorum structura. - 747

Abhandlungen der historisch - philosophischen Klasse.

BoEckn: Erklärung einer Attischen Urkunde über das Vermögen des Apollinischen

Heilmsthumssauf Delos sen ....00.e0neaueneenn.eimieeee sneneneee Seite 1 IDELER über die Reduction ägyptischer Data aus den Zeiten der Ptolemäer....... = el, BrANDIs über die Aristotelische Metaphysik (erste Hälfte) ......2seeseneesenen- - 63 Eıcunorn über die spanische Sammlung der Quellen des Kirchenrechts.......... - 89

VLEVEZOW über die Ächtheit der sogenannten Öbotritischen Runendenkmäler zu Neu Strelitz. sa... Cents a ae a ernennen - 443

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Jahr 1834.

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D ie öffentliche Sitzung der Königlichen Akademie der Wissen- schaften am 30. Januar, zur Feier des Jahrestages Friedrichs des Zweiten, wurde durch die Gegenwart Sr. Königl. Hoheit des Kronprinzen verherrlicht. Nach der Eröffnung derselben durch den vorsitzenden Sekreiar Herrn Encke, las Herr von Savigny eine Abhandlung über das altrömische Schuldrecht, und Herr Hoffmann eine Einleitung zu einer Revision der Sterblichkeits-Gesetze.

Die öffentliche Sitzung der Königlichen Akademie der Wissen- schaften, welche am 3. Julius zum Andenken an ihren Stifter Leibnitz gehalten wurde, eröffnete der vorsitzende Sekretar Herr Encke. Eine Preisvertheilung fand dieses Mal nicht statt, da die laufenden Preisaufgaben über das Alexandrinische Museum und über den Bielaschen Gometen erst in den Jahren 1835 und 1836 zur Entscheidung kommen werden. Die philosophisch - historische Klasse stellte eine Preisfrage auf,

die Geschichte der innern Verhältnisse der Brandenburgisch-

Preufsischen Staaten unter dem grofsen Churfürsten und

den Königen Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. betreffend, über deren Bearbeitung ein ausführliches Programm das Nähere enthält. Der Termin der Einsendung, unter den herkömm-

lichen Formen, ist der 1. März 1836, der Preis 50 Dukaten. Zum

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Schlusse der Sitzung las Herr Ranke den zweiten Theil seiner Ab- handlung: zur Geschichte der italienischen Poesie.

Die öffentliche Sitzung der Königl. Akademie der Wissen- schaften am 7. August zur Feier des Geburtstages Sr. Majestät des Königs eröffnete der vorsitzende Sekretar der physikalischen Klasse Herr Erman. Hierauf las Herr Ehrenberg eine Abhandlung über das Leuchten des Meeres, in welcher nach einer Zusammenstellung alles bisher Bekannten, neue eigene Beobachtungen über diese Er- scheinung mitgetheilt wurden.

Die Akademie hat von dem Dr. Corda in Prag 18 Tafeln Abbildungen aus der Physiologie der Cicadeen für den Preis von 500 Rthlr. angekauft.

Dem Geh. Reg. Rath Böckh sind aufs neue für die Redac- tion des Corpus Inscriplionum Graecarum für 1834 400 Riılr. und zur Anfertigung eines Registers 50 Rthlr. bewilligt worden.

Der Professor Brandis in Bonn hat für seine Bearbeitung der Commentatoren des Aristoteles von der Akademie auf das Jahr 1834 eine Gratification von 300 Rthlr. erhalten.

Von dem Grafen von Redern ist eine Electrisirmaschine für den Preis von 336 Rthlr. angekauft worden.

III

Dem Reg. Rath Professor Graff ist zur Herausgabe seines althochdeutschen Sprachschatzes von der Akademie eine Unter- stützung von 200 Rthlr. gewährt.

Zu dem von der Königl. Bibliothek hierselbst beabsichtigten Ankauf der Sanskrit-Handschrift des Maha-Bharata, welche Herr Graves Haughton in London besitzt, hat die Akademie einen Zuschufs von 350 Rthlr. bewilligt.

Der Geh. Ob. Baurath Crelle hat zur Bestreitung der Ko- sten für die fortgesetzte Berechnung der Primzahlen von der Aka- demie eine Unterstützung von 100 Rthlr. erhalten.

Dem Apotheker Kützing in Eilenburg wurde eine Unter- stützung von 200 Rıhlr. bewilligt, zum Behufe einer botanischen Reise nach dem Littorale, welche insbesondere die Untersuchung und Sammlung der Algen bezweckt.

Im Jahr 1834 sind ernannt worden

zum Sekretar der philosophisch -historischen Klasse: Herr Böckh.

zu ordentlichen Mitgliedern der physikalisch - mathemati-

schen Klasse: Herr Joh. Müller.

- Gustav Rose.

- Jacob Steiner.

zum auswärtigen Mitgliede der physikalisch-mathematischen

Klasse: Herr Robert Brown in London, bisheriger CGorrespon-

dent dieser Klasse.

zu Correspondenten der physikalisch-mathematischen Klasse: Herr von Baer in St. Petersburg. - Raithke in Dorpat. - Hooker in Glasgow. - Lindley in London. - L.C. Treviranus in Bonn. - Fuchs in München. - C.G. Gmelin in Tübingen. - W.E. Weber in Göttingen. - von Schlechtendal ın Halle. - Jug. de Saint-Hilaire in Paris. - Gaudichaud in Paris. - Tisors in London. - Biddel Airy in Cambridge. - Chevreul in Paris.

- J. Dumas in Parıs.

zu Correspondenten der philosophisch -historischen Klasse: Herr Zosellini in Pisa. - Reuvens in Leyden. - Rosen in London.

- von Frähn in St. Petersburg.

Gestorben sind im Jahre 1834:

Herr Sehleiermacher, ordentliches Mitglied der philosophisch- historischen Klasse und Sekretar derselben. - Pohl in Wien,

- DBürg in Wien,

Correspondenten der physikalisch - mathematischen Klasse.

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Verzeichnifs

der Mitglieder und Correspondenten der

December 1834.

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I. Ordentliche Mitglieder.

Physikalisch-mathematische Klasse.

Herr Grüson.

Hufeland. Alexander v. Humboldt. Eytelwein, Veteran. v. Buch.

Erman, Veteran. Sekretar. Lichtenstein. Weiß.

Link.

Mitscherlich. Karsten.

Encke, Sekreuar.

Herr Dirksen.

Poselger. Ehrenberg. Crelle. Horkel. K lug. Kunth. Dirichlet. H. Rose. Miller. G. Rose. ‚Steiner.

Philosophisch-historische Klasse.

Hirt, Veteran.

Ancillon, Veteran.

Wilhelm v. Humboldt, Veteran. Uhden.

Ideler.

v. Sayigny.

Döckh, Sekretar.

Bekker.

Wilken, Sekretar.

C. Ritter.

Herr Bopp.

v. Raumer. Deineke. Lachmann. Hoffmann. Eichhorn. Ranke. Levezow.

Graf.

Akademie.

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li. Auswärtige Mitglieder.

Physikalisch-mathematische Klasse.

Herr Arago in Paris. Herr Gaufs in Göttingen. - Berzelius in Stockholm. - Jussieu in Paris. - Bessel in Königsberg. - van Marum in Haarlem. - Blumenbach in Göttingen. - Olbers in Bremen. - Robert Brown in London. - Poisson in Paris.

Philosophisch-historische Klasse.

Herr Cousin in Paris. Herr Lobeck in Königsberg. - Jacob Grimm in Göttingen. - H. Ritter in Kiel. - Heeren in Göttingen. - Silvestre de Sacy in Paris. - Gottfried Hermann in Leipzig. - w. Schelling in München. - Jacobs in Gotha. - A.W.w. Schlegel in Bonn.

- Letronne in Paris.

III. Ehren-Mitglieder.

Herr C. F. S. Freih. Stein vom Altenstein Herr Lhuilier in Genf.

in Berlin. - w. Lindenau in Dresden. - Imbert Delonnes in Paris. - Gen. Lieut. Freih. v. Minutol in - FWilliam Gell in London. Berlin. - FYilliam Hamilton in London. - Gen. Lieut. Freih. ®. Müffling in - ©. Hisinger auf Skinskatteberg bei Münster.

Köping in Schweden. - Prevost in Genf. - Graf vw. Hoffmansegg in Dresden. - C. Graf v. Sternberg in Prag. - I.F.Freih. v. Jacquin in Wien. - Stromeyer in Göttingen.

- Colonel Zeake in London.

IV. CGorrespondenten.

Für die physikalisch-mathematische Klasse.

Herr Accum in Berlin. Herr Elie de Beaumont in Paris. - Biddel Airy in Cambridge. - P. Berthier in Paris. - Ampere in Paris. - Biot in Paris. - ®v. dutenrieth in Tübingen. - Brera in Padua.

- v. Baer in St. Petersburg. - Brewster in Edinburgh.

Herr Brongniart in Paris.

de Candolle in Genf.

Carlini in Mailand.

Carus in Dresden.

Chevreul in Paris. Configliacchi in Pavia.

Dalton in Manchester.

Dulong in Paris.

J. Dumas in Paris.

Faraday in London.

F.E.L. Fischer in St. Petersburg. Gotthelf Fischer in Moskau. Flauti in Neapel.

Florman in Lund.

Freiesleben in Freiberg.

Fuchs in München. Gaudichaud in Paris. Gay-Lussac in Paris. Gergonne in Montpellier.

C. G. Gmelin in Tübingen.

L. Gmelin in Heidelberg. Hansen in Seeberg bei Gotha. Hansteen in Christiania. Hausmann in Göttingen. Herschel in Slough bei Windsor. Hooker in Glasgow.

C. G. J. Jacobi in Königsberg. Jameson in Edinburgh.

Ivory in London.

Kielmeyer in Stuttgard.

v. Krusenstern in St. Petersburg. Larrey in Paris.

v. Ledebour in Dorpat. Liebig in Gielsen.

Graf Libri in Paris.

Lindley in London.

v. Martius in München. Möbius in Leipzig.

Mohs in Wien.

IX

Herr v. Moll in Dachau bei München.

van Dlons in Löwen.

F. E. Neumann in Königsberg. Nitzsch in Halle.

Oersted in Kopenhagen.

v. Olfers in Berlin.

Otto ın Breslau.

Pfaff in Kiel.

Plana in Turin.

Poncelet in Metz.

de Pontecoulant in Paris.

de Prony in Paris.

Purkinje in Breslau.

Quetelet in Brüssel.

Rathke in Dorpat.

Aug. de Saint-Hilaire in Paris. I. C. Sayigny in Paris.

v. Schlechtendal in Halle. Schrader in Göttingen. Schumacher in Altona. Marcel de Serres in Montpellier. v. Stephan in St. Petersburg. v. Struve in Dorpat.

Tenore in Neapel.

Thenard in Paris, Tiedemann in Heidelberg. Tilesius in Mühlhausen.

G. R. Treviranus in Bremen. L. C. Treviranus in Bonn. Trommsdorff in Erfurt. Figors in London. Wahlenberg in Upsala. FMWallich in Calcutta.

E. H.Veber in Leipzig. IW.E.IWVeber in Göttingen. FViedemann in Kiel. FWöhler in Cassel. /Voltmann in Hamburg.

Für die philosophisch-historische Klasse. Herr Avellino in Neapel.

Beigel in Dresden. Böttiger in Dresden. Brandis in Bonn. Bröndsted in Kopenhagen. Cattaneo in Mailand.

Herr v. Hammer in Wien.

de Chambray in Pougues im Dep. -

de la Nievre. Graf Clarac in Paris.

Constantinus Oeconomus zur Zeit in -

Wien. Degerando in Paris. Delbrück in Bonn. vw. Frähn in St. Petersburg. Freytag in Bonn. a Fries in Jena. Del Furia in Florenz. Gerhard in Berlin. Gesenius in Halle. Göschen in Göttingen. Filh. Grinm in Göttingen. Halma in Paris. Hamaker in Leyden.

Hase ın Paris.

van Heusde in Utrecht.

v. Hormayr in München. Jomard in Paris.

v. Köhler in St. Petersburg. Kosegarten in Greifswald. Kumas in Smyrna.

vw. Lang in Ansbach.

Linde in Warschau.

Mai in Rom.

Meier in Halle.

K. 0. Miller in Göttingen. Mustoxidi in Corfu.

C. F. Neumann in München. Et. Quatremere in Paris. Raoul-Rochette in Paris. Reuyens in Leyden. Rosellini in Pisa.

Rosen in London. Schömann in Greifswald. Simonde-Sismondi in Genf. Thiersch in München.

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Abhandlungen

der

physikalisch-mathematischen Klasse

der

Königlichen

Akademie der Wissenschaften

zu Berlin.

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Aus dem Jahre 1894;

a.anaannaananonnnnnenataernen.

Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Königl. Akademie der Wissenschaften. 1830.

In Commission bei F. Dümmler.

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KARSTEN über die chemische Verbindung der Körper (vierte Abhandlung: die

chemische Wahlverwandtschaft) ..... EEE ee Aa GRELEE- Zur Theorie der Ebenenssre. es erstellen riesen serie ee eeeiere MÜLLER: Vergleichende Anatomie der Myxinoiden, der Cyclostomen mit durch- bohrtem Gaumen (erster Theil: Osteologie und Myologie) ..... POSELGER über das zehnte Buch der Elemente des Euklides .........222use00 0. Link über den Bau der Farrnkräuter (erste Abhandlung) ..... ADLHSE SC OR,

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TREVIRANUS: De Aldrovandae vesiculosae et Mesembryanthemi foliorum structura .

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Über

die chemische V erbindung der Körper.

Vierte Abhandlung.

Die chemische Wahlverwandtschaft.

v2 Von H”- KARSTEN.

nrırinnirrUitid

[Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 13. Februar 1834.]

Bis Mischungszustände einer flüssigen Mischung pflegt man durch be- sondere Benennungen zu unterscheiden, um dadurch das Verhältnifs anzu- deuten, in welchem sich die Körper in der Mischung befinden. Mit dem Namen Sättigung und Neutralität verbindet man Begriffe von gewissen Mischungsverhältnissen, ohne sie jedoch in der Anwendung scharf von ein- ander getrennt zu halten. Der Begriff von Sättigung scheint zwar ein sehr bestimmter zu sein, indem er auf den Zustand der Mischung angewendet wird, in welchem der flüssige Körper (das Auflösungsmittel) nicht weiter auf den aufzulösenden starren Körper einwirkt; allein man bedient sich des Ausdrucks auch häufig, um den neutralen Zustand der Mischung zu bezeich- & und Neutralität würde

8 aufhören, wenn man sich darüber vereinigte, den ersteren nur auf flüssige

nen. Die Verwechselung der Begriffe von Sättigun

Mischungen nach unbestimmten Verhältnissen, und den letztern auf denje- nigen Zustand der Mischung anzuwenden, in welchem daraus, nach Entfer- nung des Auflösungsmittels, eine Art, d.h. ein nach bestimmten und unab- änderlichen Verhältnissen zusammengesetzter Körper abgeschieden wird. Der Begriff von Neutralität würde zu beschränkt sein, wenn er nur auf ein einziges Sättigungsverhältnifs der in der Mischung befindlich gewesenen Kör- per, nämlich auf dasjenige bezogen wird, bei welchem durch die Verbin- dung von Basen und Säuren Arten gebildet werden, welche in einigen Fällen Phys.-mathemat. Abhandl. 1834. A

2 KARrsSTEn

die Eigenschaft besitzen, die den Basen und Säuren im unverbundenen Zu- stande zukommende Reaction auf gewisse Pflanzenpigmente nicht mehr zu äufsern. Oft ist dieses Sättigungsverhältnifs wirklich erreicht, ohne dafs es an jenem Kriterium erkannt werden könnte, weshalb dasselbe gar nicht we- sentlich zum Begriff einer neutralen Mischung gehört. Deshalb mufs der Begriff von Neutralität auf alle diejenigen Sättigungsverhältnisse der flüssi- gen Mischung ausgedehnt werden, bei welchen, nach der Entfernung des Auflösungsmittels, irgend eine bestimmte Art erhalten wird. Befinden sich z.B. in einer Mischung Kali und Schwefelsäure in einem solchen Verhältnifs zu einander, dafs sich daraus saures schwefelsaures Kali, ohne Überschufs von Säure oder Base absondert, so wird man die flüssige Mischung aus dem- selben Grunde neutral nennen müssen, aus welchem ihr diese Benennung für den Fall zukommt, wenn sie Schwefelsäure und Kali in solchem Ver- hältnisse enthält, dafs beim Verflüchtigen des Wassers schwefelsaures Kali gebildet wird. Soll nämlich der Begriff von Neutralität nur auf ein be- stimmtes Mischungsverhältnifs aus dem Grunde bezogen werden, weil dies das einzige ist, bei welchem gewisse Reactionen auf Pflanzenpigmente auf- hören; so würde sich die Mehrzahl der Basen mit den Säuren gar nicht zu solchen Verbindungen vereinigen, welche auf die Benennung einer neutra- len Verbindung Anspruch machen könnte.

Ebenso ist es nur zufolge eines eingeführten Sprachgebrauchs, dafs man die Begriffe von Sättigung und Neutralität in solchen Fällen für gleich- bedeutend halten zu dürfen glaubt, wenn die Mischung zwischen Körpern vorgeht, von denen der eine im Wasser unauflöslich ist. Man überträgt den Begriff von Sättigung auf den Zustand der Mischung, welchen man den neu- tralen nennen sollte, weil zufällig der Neutralisationspunkt der Mischung mit dem Mischungszustande zusammenfällt, in welchem von dem starren Körper, wegen seiner Unauflöslichkeit im Wasser, nichts mehr in den flüssi- gen Zustand übergeführt werden kann. Wenn z.B. Bleioxyd in Essigsäure aufgelöst wird, so sagt man, die Säure sei mit Bleioxyd gesättigt, sobald die Flüssigkeit kein Oxyd mehr aufnimmt. Weil aber dieser Zustand der Mischung, wegen der Unauflöslichkeit des Bleioxyds im Wasser, von dem neutralen Zustande derselben nicht verschieden ist, indem keine Verände- rung der Temperatur, vom Gefrier- bis zum Siedepunkt der Mischung, eine Veränderung der Mischungsverhältnisse zwischen der Säure und dem Oxyd,

über die chemische Verbindung der Körper. 3

insofern sich nicht dann ganz neue Arten bilden, hervorzubringen vermag, so befindet sich die Mischung nicht in einem gesättigten, sondern im neutralen Zustande. Die Säure als Auflösungsmittel steht zwar zu dem Oxyd, als dem aufzulösenden starren Körper, scheinbar in demselben Ver- hältnifs wie das Wasser oder irgend eine andere Flüssigkeit zu den darin auf- lösbaren starren Körpern, wenn jene das Maximum von diesen aufgenom- men haben; allein es findet zwischen beiden Mischungen der wesentliche Unterschied statt, dafs der Neutralisationspunkt von der Temperatur ganz unabhängig bleibt, während sich der Sättigungsgunkt stets nach der Tempe- ratur richtet. Eine flüssige Mischung, in welcher die Essigsäure so viel Blei- oxyd aufgenommen hat, als sie aufzulösen vermag, ist daher zwar eine neu- trale, aber nicht nothwendig auch eine gesättigte Mischung, weil sie noch gröfsere und ganz von der Temperatur abhängige Quantitäten von essigsau- rem Bleioxyd aufzunehmen vermag. Eben so ungenau wie in dem erörterten Fall, wenn der aufzulösende Körper im Wasser unauflöslich ist, bleibt auch die Anwendung des Begriffes von Sättigung auf die neutralen Zustände der Mischung bei den im Wasser auflöslichen Körpern. Wird z.B. eine wäfs- rige Auflösung von kohlensaurem Kali in Salpetersäure getröpfelt, so ist es eine Verwechselung der Begriffe von Neutralität und Sättigung, wenn man den eintretenden Zustand der Neutralität den Zustand der Sättigung der Mi- schung nennt. Der Begriff von Sättigung kann folglich nur auf denjenigen Zustand der nach unbestimmten Verhältnissen erfolgenden Mischungen an- gewendet werden, bei welchem das Minimum des flüssigen mit dem Maximo des starren Körpers für eine gegebene und bestimmte Temperatur verbun- den ist.

Jede neutrale oder nicht neutrale Mischung bleibt, so lange sie sich im flüssigen Zustande befindet, eine chemische Verbindung nach unbestimm- ten Verhältnissen, in Beziehung auf die Flüssigkeit, welche ihr als Auflö- sungsmittel dient. Die Absonderung der Arter aus einer flüssigen Mischung kann nur dann erfolgen, wenn der Sättigungspunkt entweder durch plötz- liche Temperaturveränderungen, oder durch allmälige Verminderung des Auflösungsmittels überschritten wird. Wenn es nun die Erfahrung ganz allgemein bestätigt, dafs sich, sobald dieser Sättigungspunkt überschrit- ten ist, aus den nicht neutralen gerade ebenso wie aus den neutralen Mi- schungen, jederzeit nur Arten absondern, das Mischungsverhältnifs mag für

A2

4 KARrsSTEn

den einen Körper so überwiegend grofs und für den andern Körper so über- wiegend klein sein, als es nur immer gedacht werden mag; so kann dieser Erfolg nicht die Wirkung der chemischen Verwandtschaft, sondern er mufs nothwendig die Wirkung einer Kraft sein, durch welche die Art gebildet und von dem übrigen Bestandtheile der Mischung isolirt wird. Befänden sich z.B. eine Säure 4 und eine Base 3 in einem der Neutralität nicht an- gemessenen Verhältnifs in der flüssigen Mischung, so würde man, wenn sich die chemische Verwandtschaftskraft nur allein wirksam zeigte, nach der Ent- fernung des Auflösungsmittels einen Körper 4-+ B erhalten müssen. Son- dert sich aber 4 nur in Verbindung mit so viel 3 ab, als die Natur der Art fordert, und bleibt die überflüssige Menge von B dabei ganz unwirksam; so würde es ungereimt sein, nur derjenigen Quantität von B, welche mit 4 die Art bildet, eine chemische Verwandtschaft zu 4 zuzugestehen und sie dem unverbunden bleibenden Antheil von 3 abzusprechen. Es ist daher auch für den angeführten Fall niemals im Ernst behauptet worden, dafs die, von dem Verhältnifs der Körper 4 und B in der Mischung gar nicht abhän- gige Bildung der Art, dadurch veranlafst werde, dafs sich die chemische Verwandtschaft von 4 zu B nur auf eine gewisse Quantität von B erstreckt und dafs der überflüssige Theil von 2 als nicht vorhanden zu betrachten sei. Daraus folgt aber, dafs die Bildung der Art von dem chemischen Prozefs unmittelbar gar nicht abhängig ist. Wird nun die Bildung der Art aus einer nicht neutralen Mischung 4 und 2, nicht durch die chemische Verwandt- schaft von 4 zu einem gewissen Theil von 3 bedingt, so kann aus demsel- ben Grunde auch die Bildung der Art aus einer flüssigen Mischung, in wel- cher sich, statt der überschüssigen Menge von 3, eine Quantität von irgend einer andern Base C befindet, ebenfalls nicht der chemischen Verwandt- schaftskraft zugeschrieben werden, sondern diese Absonderung wird eben- falls der Erfolg einer Kraft sein, durch welche sich aus Mischungen nach unbestimmten Verhältnissen unter den dazu günstigen Umständen immer nur Arten absondern. Diese Betrachtung mufs dann nothwendig auch auf den Fall ausgedehnt werden, in welchem aus einer flüssigen Mischung, ohne Temperaturveränderung und ohne Entfernung des Auflösungsmittels, durch Hinzufügung irgend einer Säure oder Base C, sogleich eine bestimmte Art abgesondert, oder, wie man zu sagen pflegt, niedergeschlagen wird. Ob die sich darstellende Art die Säure 4, oder die Base 3, oder eine Verbin-

über die chemische Verbindung der Körper. 5

dung von beiden, oder eine Verbindung von 4 mit C, oder von B mit C sei, wird von dem Wesen der sich bildenden Art abhängig sein, aber nicht als die Wirkung der chemischen Verwandtschaftskraft angesehen werden können.

Die sogenannte Wahlverwandtschaft oder die nähere (gröfsere) chemi- sche Verwandtschaft ist folglich eine der chemischen Verwandtschaftskraft widerstrebende Kraft, durch welche Arten aus flüssigen Mischungen gebildet werden. Weil die chemischen Prozesse sich sämmtlich auf die Erfolge der Wahlverwandtschaft d.h. auf die Gesetze zurückführen lassen, nach welchen unter bestimmten Verhältnissen die Bildung der Arten aus neutralen oder nicht neutralen Mischungen erfolgt; so ist in der nur allein durch die Erfah- rung zu erlangenden Kenntnifs des Gesetzes von welchem die Natur der sich bildenden Arten abhängt, der ganze Schatz unserer chemischen Kenntnisse enthalten. Mag man die Ursache, welche dem aufgefundenen Gesetz zum Grunde liegt, mit dem Ausdruck: Wahlverwandtschaft oder nähere Ver- wandtschaft bezeichnen, oder mag man darin die Wirkung einer besonderen Bildungskraft erkennen, immer wird man darin einig sein müssen, dafs che- mische Verwandtschaft und Wahlverwandtschaft nicht Wirkungen einer und derselben Kraft sein können, denn es nicht überflüssig noch einmal zu wie- derholen, dafs durch die Kraft der chemischen Verwandtschaft die unorga- nische Art vernichtet wird, und dafs sie durch die Kraft, welche man die Wahlverwandtschaft genannt hat, ihr Dasein erhält.

Wäre die Wahlverwandtschaft eine Wirkung der chemischen Affinität überhaupt, so würde es vergeblich sein, nach einem Gesetz für diese Wir- kung zu forschen, weil jede Veränderung in den Quantitäten der auf einan- der wirkenden Körper, den Erfolg des Prozesses nothwendig modificiren, in vielen Fällen sogar völlig umkehren müfste. Ungeachtet aber zu Gunsten der Ansicht, dafs die Quantitätsverhältnisse der Körper einen Einflufs auf die Natur der sich ausscheidenden Arten äufsern, noch kein einziges Beispiel g würde

8 dazu schon hinreichend sein, so ist das Gesetz nach welchem die Abson-

bekannt geworden ist, denn eine einzige zuverlässige Erfahrun

derung der Arten aus den flüssigen Mischungen erfolgt, doch durchaus kein so allgemeines, dafs es sich für die verschiedenen Abtheilungen, in welche man die Körper nach der Verschiedenheit ihres chemischen Verhaltens zur Erleichterung der Übersicht gebracht hat, stets in gleicher Weise wieder er-

6 Karsten

kennen liefse. Die eigenthümliche Natur eines jeden Körpers wird vielmehr vorzugsweise gerade daran erkannt, dafs er in Verbindung mit anderen Kör- pern für die Bildung der Arten nicht immer denselben Gesetzen, wie ein anderer Körper aus derselben Abtheilung unterworfen ist. Es wird daher nothwendig, jenes Gesetz für jeden einzelnen Körper aufzusuchen, den man bis jetzt noch für einen einfachen anzusehen genöthigt ist. Dadurch erhal- ten die Untersuchungen zur Ausmittelung des Gesetzes, wornach die Bildung der Arten erfolgt, einen fast unendlich grofsen Umfang, und es nicht zu be- zweifeln dafs bis jetzt nur der kleinste Theil von den wirklich darstellbaren Arten bekannt geworden ist. Diese Bildung der Arten aus flüssigen Mischun- gen erfolgt aber immer unter besonderen Umständen, von denen man anzu- nehmen pflegt, dafs es sich oft nicht mit Zuverlässigkeit entscheiden lasse, ob sie den Erfolg unmittelbar bedingen oder nur modificiren. Die letzte Annahme wird jedoch selbst nicht einmal auf die Fälle anzuwenden sein, wo einer von den Körpern, bei dem in dem Augenblick der Einwirkung statt- findenden Luftdruck und Temperatur, aus dem Wirkungskreise entweicht. Dieser Erfolg ist nämlich in der Natur der entstehenden Art gegründet, und eben deshalb ein ganz nothwendiger, also das Gesetz selbst, welches gesucht wird. Daraus folgt, dafs nur eine einzige Ausnahme von dem Gesetz als möglich gedacht werden kann, nämlich die der sogenannten reciprocen Ver- wandtschaft, in so fern die Erfahrung ergeben sollte, dafs sich der Erfolg bei der Aussonderung der Arten, durch veränderte Quantitätsverhältnisse der auf einander wirkenden Körper, vollständig umkehren lasse, ohne in dem Prozefs selbst einen genügenden Grund für eine solche Anomalie aufzufinden. Auf diesen Umstand allein können daher die Untersuchungen über die Er- folge der sogenannten Wahlverwandtschaft nur gerichtet sein. Um die Wir- kungen der Wahlverwandtschaft leichter übersehen und daraus ein, wie man anfänglich glaubte, allgemeines Gesetz herleiten zu können, hat man in der Hauptsache zwei Arten von Wahlverwandtschaft, die einfache und die dop- pelte oder zusammengesetzte unterschieden. Die Annahme einer prädispo- nirenden und einer neu erzeugten Verwandtschaft hat niemals einen allge- meinen Beifall erhalten, weil die Erfolge sich nur auf besondere Fälle be- ziehen, die eine genügendere Erklärung in der seitdem näher bekannt ge- wordenen Natur der Körper auf welche sie angewendet wurden, gefunden haben. Unter der einfachen Wahlverwandtschaft verstehe ich aber das Ge-

über die chemische Verbindung der Körper. 7

setz nach welchem die Bildung der Art aus einer nicht neutralen, und unter der doppelten oder zusammengesetzten Wahlverwandtschaft das Ge- setz, nach welchem die Bildung der Art aus einer neutralen Mischung erfolgt, und es scheint, dafs in dieser Erklärung zugleich der Begriff, den man sich von der Wirkung der Wahlverwandtschaft überhaupt zu machen habe, klar und vollständig enthalten ist.

Die Erfolge, welche durch die Wirkungen der einfachen Wahlver- wandtschaft hervorgebracht werden, müssen, wegen des stärkeren chemi- schen Gegensatzes der auf einander einwirkenden Körper, nothwendig zu einem übersichtlicheren und mehr entscheidenden Resultat führen als dieje- nigen Erfolge, welche neutrale Mischungen darbieten. Bei nicht neutralen Mischungen würde folglich der Einflufs der Quantitätsverhältnisse und die dadurch zu bewirkende Reciproeität der Verwandtschaften vorzüglich erkannt werden können, und dennoch läfst sich nicht eine einzige zuverlässige Er- fahrung dafür anführen. Ohne Zweifel hat dieses merkwürdige Verhalten der Körper die früheren Chemiker veranlafst, die Verwandtschaft als eine absolute, jedem Körper in einem bestimmten Grade der Stärke beiwoh- nende Kraft anzusehen, und aus dieser Kraft die Erscheinungen bei der Zer- setzung flüssiger Mischungen abzuleiten. Eine nothwendige Folge dieser Annahme war dann, dafs der Körper 4 genau dieselbe Ordnung in der Reihe der Verwandtschaften wie der Körper 2 befolgen, oder dafs die für den Körper 4 aufgefundene Reihenfolge in der Verwandtschaft, für alle Kör- per derselben Art gültig sein mufs. Wie sehr man von der Richtigkeit die- ser Voraussetzung überzeugt war, beweisen die bekannten Verwandtschafts- tafeln. Einzelne, der Voraussetzung widersprechende Erfahrungen wurden in die Tafeln als Anomalien, oder als Ausnahmen von dem aufgefundenen allgemeinen Gesetz eingetragen. Wenn man auf diese Weise jedem Körper eine gewisse, nach Maafs und Zahl bestimmbare Gröfse der Verwandtschafts- kraft beilegte, so hatte man in der That übersehen, dafs diese Gröfse keine constante, sondern eine nach der Menge des Körpers veränderliche sein mufste. Es ist bekannt, dafs Berthollet hierauf zuerst aufmerksam machte und dafs er durch das von ihm eingeführte chemische Massenverhältnifs, nämlich durch das Produkt aus der Verwandtschaftskraft mit der Menge des Körpers, einen Theil derjenigen Erscheinungen zu erklären bemüht war, welche man bis dahin als zufällige Abweichungen in der Folgeordnung der

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Verwandtschaften betrachtet hatte. Kohäsionskraft, Elastieität, Efflorescenz, und in einigen Fällen das Wasser als Auflösungsmittel, dienten ihm ferner als Kräfte, welche sich den Wirkungen der Verwandtschaftskraft widersetzen. Berthollet’s Untersuchungen waren sehr geeignet grofse Zweifel über die bis dahin angenommene Unveränderlichkeit in den Erfolgen der Verwandt- schaftskräfte der Körper anzuregen, allein sie gaben für das angefochtene Gesetz kein anderes, dessen man sich mit Zuverlässigkeit als eines Führers zur Erklärung der Verwandtschaftserfolge hätte bedienen können. Über- haupt konnten aber diese Untersuchungen den Standpunkt der Wissenschaft wesentlich nicht verändern; denn auch Berthollet betrachtet, gleich seinen Vorgängern, die einem jeden Körper zukommende Verwandtschaftskraft als den ersten und wahren Grund aller Erscheinungen, welche die Körper bei ihrer Einwirkung auf einander darbieten. Das chemische Massenverhältnifs und eine Menge von Kräften, welche der vorausgesetzten Wirkung der Ver- wandtschaftskraft widerstreben, dienten ihm nur als Mittel um die Wirkun- gen der letzteren zu modificiren, also die unerklärt gebliebenen Ausnahmen von dem allgemeinen Gesetz auf bestimmte Ursachen zurückzuführen. Weil aber diese Ursachen mehr oder weniger jederzeit wirksam sind, so liefs sich ein allgemeines Gesetz in der Verwandtschaftsfolge der Körper gar nicht mehr erkennen und man kann daher sagen, dafs durch die von Berthollet zu Hülfe gerufenen modificirenden Kräfte, das Gesetz selbst seine Bestimmung erhalten hat, und dafs die Wirkungen der Verwandtschaftskraft so unterge- ordnet erscheinen, dafs man ihrer zur Erklärung der Verwandtschaftserfolge nur noch dem Namen nach nöthig hatte.

Diesen Widerspruch der hypothetisch postulirten Wirkungen einer näheren und entfernteren Verwandtschaftskraft mit den wirklichen Erfolgen bei der Zersetzung nicht neutraler Mischungen, hat man auch später mit wohl nur wenig genügenden Gründen zu heben und zu deuten gesucht. Von dem Augenblick an, als man auf die mit einer gewissen Regelmäfsigkeit wie- derkehrenden Erscheinungen bei den Zerlegungen eines zusammengesetzten, durch einen hinzugefügten dritten Körper aufmerksam geworden war, nahm man als den Grund dieser Erscheinung die Kraft in Anspruch, durch welche eine chemische Verbindung zwischen den Körpern überhaupt zu Stande ge- bracht wird. Die nähere und die entferntere Verwandtschaft, oder die soge- nannte Wahlverwandtschaft, betrachtete man als die Wirkungen eben dieser,

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nur dem Grade nach verschiedenen Kraft, und von der Richtigkeit dieser Vorstellung, von welcher auch Berthollet sich nicht trennen konnte, hat man länger als ein Jahrhundert hindurch die Überzeugung behalten. Das chemische Massenverhältnifs ist aber eine so nothwendige Folge von jener Vorstellung, dafs eine nähere und entferntere Verwandtschaft in dem ange- nommenen Sinn nicht vorhanden sein können, wenn sich jenes in seinen Wirkungen nicht überzeugend nachweisen läfst. Die eigentliche Quelle des Irrthums würde folglich, weil jenes Massenverhältnifs in der That nicht er- weisbar ist, immer darin gesucht werden müssen, dafs man in der Wirkung der Kraft, durch welche die Arten aus den Mischungen abgesondert wer- den, ‚glieselbe Kraft erkennen zu dürfen glaubte, vermöge welcher sich die Körper überhaupt chemisch mit einander verbinden.

Den allgemein angenommenen Vorstellungen über die Vorgänge bei den Zerlegungen durch einfache Wahlverwandtschaft, liegt im Wesentlichen die Annahme zum Grunde, dafs sich in einer flüssigen Mischung zwei Kör- per B und C mit einander im Kampf über den Besitz des Körpers 4 be- finden. Schon diese Vorstellung steht mit dem Begriff von einer chemi- schen Vereinigung durchaus im Widerspruch und keine Erscheinung deutet auf einen solchen Kampf, vielmehr beweifst die völlige Gleichartigkeit der Mischung eine innige chemische Vereinigung, welche nicht durch dieselbe Kraft, welche 4, B und C vereinigte, wieder aufgehoben werden kann. Die Beschaffenheit der sich aussondernden Arten wird, bei einer gegebenen Beschaffenheit und Menge von 4, B und C, durch die Natur und Eigen- schaften jener Arten selbst bestimmt. Das Gesetz, nach welchem die Ab- sonderung der Art erfolgt, läfst sich aus der Mischung 4-+ B+C so wenig ableiten, dafs durch die Mischung an sich eben so gut die Bedingung zur Bildung eines Körpers 42, als die eines Körpers 4C, oder einer jeden an- dern aus den Körpern 4, B und C möglichen Art gegeben ist. Zuweilen tritt ein solcher Erfolg wirklich ein, und wenn man dann zur Erklärung des- selben die Temperaturverhältnisse oder den Concentrationszustand der Mi- schung als den Grund angiebt, so heifst dies nichts anderes, als auf die eigenthümliche Natur der sich absondernden Art zurückgehen und in dieser, aber nicht in der Mischung, die Ursache ihrer Bildung finden. Sucht man aber den Grund zur Bildung der Arten in der überwiegenden Kraft, mit welcher / von B oder von angezogen wird, so wird man zu der sonder-

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baren Annahme genöthigt, dafs die Verwandtschafiskraft von Z zu 4 durch die Anwesenheit von C, oder die von C zu 4 durch die Anwesenheit von B, völlig vernichtet wird. Ein Minimum von Baryterde, die in einer tau- sendmal gröfseren Menge von Salpetersäure aufgelöst ist als die neutrale Verbindung erfordert, wird durch so wenig Schwefelsäure als zur Darstel- lung von schwefelsaurer Baryterde nothwendig ist, so vollständig von der Salpetersäure abgesondert, dafs keine Spur davon in der Mischung bleibt. Wollte man nun auch ohne allen Grund der Schwefelsäure eine tausendfach gröfsere Verwandtschaftskraft als der Salpetersäure zur Baryterde beilegen, so würde doch die letztere, wegen der tausendmal gröfseren Menge, mit derselben chemischen Masse wie die Schwefelsäure auf die Baryterde wir- ken, diese würde mit gleichen Kräften von beiden Säuren angezogen wer- den, oder es würde etwa die Hälfte der Baryterde in der Auflösung zurück- bleiben müssen. Vergebens beruft man sich darauf, dafs die Baryterde, wegen der Unauflöslichkeit der schwefelsauren Baryterde, aus dem Wir- kungskreise der Salpetersäure entfernt wird, denn der Niederschlag erfolgt unter den angenommenen Verhältnissen sehr langsam, und in unzählig vie- len Fällen mufs ein flüssiger Körper auf einen starren einwirken, ohne dafs dadurch die chemische Verbindung verhindert wird. Aber die Unauflös- lichkeit der schwefelsauren Baryterde in Salpetersäure kann, bei der gemach- ten Voraussetzung der chemischen Massenwirkung, gar nicht einmal als der Grund des Erfolges angesehen werden, denn es soll nicht erklärt werden, warum die Salpetersäure der schwefelsauren Baryterde durch ihre chemische Masse die Base nicht theilweise zu entziehen vermag, sondern warum die Schwefelsäure die durch die chemische Masse bedingte Wirkung der Salpe- tersäure vollständig vernichtet. Der Erfolg des Prozesses ist also nicht von der chemischen Masse der auf einander wirkenden Körper, sondern von der Natur der sich bildenden Art abhängig, und die Kraft, welche die Arten hervorruft, überwältigt die Kraft, welche eine allgemeine chemische Ver- bindung zu erhalten strebt. Wenn in andern Fällen der Erfolg nicht mit einer so grofsen Bestimmtheit hervortritt, so kann der Grund nicht in dem chemischen Massenverhältnifs, sondern er mufs abermals in der eigenthüm- lichen Natur der sich bildenden Art gesucht werden. Die Absonderung der Arten aus flüssigen Mischungen kann daher nicht die Wirkung einer Ver- wandtschaftskraft sein, welcher man, als einer absoluten Kraft, eine be-

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stimmte Gröfse beilegt, sondern sie ist die Wirkung einer eigenthümlichen Bildungskraft, die der Kraft, mit welcher die chemische Verbindung erfolgt, geradezu entgegen wirkt.

Die Untersuchungen über die Folgeordnung, in welcher sich die Kör- per von einem und demselben dritten abscheiden, oder vielmehr in welcher vorzugsweise bestimmt geartete Verbindungen gebildet werden, haben ganz wesentlich dazu beigetragen, die chemischen Eigenschaften der Arten selbst näher kennen zu lernen, und sie gehören noch jetzt so sehr zu den wichtig- sten Gegenständen, mit welchen sich die Chemie beschäftigt, dafs man wohl sagen kann, sie allein sind der Zweck aller wissenschaftlichen chemischen Forschungen. Wenn man aber schon seit Gellert die Nothwendigkeit ein- gesehen hat, die Verwandischaftserfolge auf dem nassen und trockenen Wege zu unterscheiden, so liegt darin das Zugeständnifs, dafs die angenom- mene Verwandtschaftskraft keine absolute Kraft, sondern dafs der Erfolg von der Natur der sich bildenden Arten abhängig ist. Wir wissen indefs, dafs es nicht die Temperatur allein ist, welche über die in jedem einzelnen Fall entstehenden Arten entscheidet, sondern dafs auch der Concentrations- zustand der Flüssigkeit, schnelle oder langsame Entfernung des Auflösungs- mittels und viele andere Umstände von Einflufs sind, so dafs man auch für diese verschiedene Fälle wieder verschiedene Verwandtschaftstafeln entwer- fen müfste, um den Erfolg mit einiger Zuverlässigkeit aus den Tafeln vor- ausbestimmen zu können. Welche Folgerung läfst sich anders daraus zie- hen als die, dafs nicht die Mischung über die Bildung der Arten entschei- det, sondern die Umstände, unter welchen die in der Mischung verbunde- nen Körper auf einander wirken, und dies heifst wieder nichts anderes als dafs es die Natur der sich absondernden Arten selbst ist, durch welche der Erfolg des Prozesses für jeden gegebenen Fall bedingt wird.

Will man, wie es in den Lehrbüchern der Chemie wohl geschieht, die Bildung der basischen Verbindungen als Beweise für die chemische Mas- senwirkung anführen, so vergifst man, dafs diese basischen Verbindungen selbst eigenthümliche Arten sind und dafs sehr viele von ihnen sogar als die überzeugendsten Beispiele von dem Nichtvorhandensein der chemischen Mas- senwirkung dienen können, weil das gröfste Übermaafs des sogenannten Fäl- lungsmittels eine vollständige Zersetzung nicht zu bewirken vermag. Ebenso wird durch die Bildung derjenigen Arten, welche unter dem Namen der

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sauren Salze bekannt sind, in manchen Fällen die gleichzeitige Bildung an- derer Arten, welche sonst wohl nicht entstanden sein würden, veranlafst oder wenigstens begünstigt.

Ob aus einer flüssigen Mischung diese oder jene Art vorzugsweise ge- bildet werden wird, läfst sich ohne Erfahrung nicht entscheiden. Wenn aber das chemische Verhalten der verschiedenen Arten bekannt ist, welche sich aus der Mischung möglicher Weise absondern können, so wird sich der Erfolg, zwar nicht immer, jedoch in vielen Fällen, mit einiger Zuverlässig- keit voraussehen lassen. Die verschiedenen Grade der Auflöslichkeit der darstellbaren Arten in der gegebenen Flüssigkeit, entscheiden fast in der Re- gel über diesen Erfolg, der also abermals nicht in der Natur der Mischung, sondern in der des entstehenden Körpers selbst begründet ist. Bei Mischun- gen, welche die Bildung von Arten zulassen, die in der Auflösbarkeit nicht sehr verschieden sind, ist nur selten ein scharfes Resultat zu erwarten, weil die Kraft, welche die Körper zu einer gemeinschaftlichen chemischen Ver- bindung vereinigt, der Bildungskraft, welche die Art zu isoliren strebt, mit einem gröfseren Erfolge entgegen wirkt. Die Arbeiten der Chemiker wür- den ungemein erleichtert werden, wenn sich die Bildungskraft der allgemei- nen verbindenden Kraft häufiger in einem so überwiegenden Grade entge- gen stellte, dafs sich die entstehenden Arten vollständig und fast augenblick- lich aus der Mischung absonderten; aber nur selten gelingt es der Bildungs- kraft, die Kraft der chemischen Vereinigung, welche man im Gegensatz der Bildungskraft die Mischungskraft nennen kann, vollkommen zu über- wältigen.

Die sogenannte Reciprocität der Verwandtschaftserfolge wird in solchen Fällen allerdings eintreten können, wenn die Mischungskraft sehr stark, oder die Bildungskraft wenigstens nicht in einem sehr bedeutenden Grade über- wiegend ist. Diese Reciproeität darf jedoch, wie kaum zu bemerken nöthig ist, nicht so verstanden werden, dafs sich, ohne zureichenden Grund, einmal diese und ein anderes mal jene Art aus einer und derselben Mischung abson- dert, sondern dafs Temperaturverhältnisse und Concentrationszustände der Mischung hier die Absonderung dieser und dort jener Art vorzüglich begün- stigen. Bleiben alle Verhältnisse durchaus dieselben, so werden sich auch nothwendig immer dieselben Arten absondern, und in diesem Sinne ist die Annahme einer Reciprocität der Verwandtschaftserfolge durchaus unzulässig.

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Dafs, unter übrigens ganz gleichen Umständen, die Beschaffenheit der aus einer Mischung sich absondernden Art, von den Quantitätsverhältnissen der auf einander wirkenden Körper abhängig wäre, davon ist kein Beispiel bekannt. Der besondere Fall wo ein basisches Salz ausgeschieden wird, wenn das sogenannte Fällungsmittel den Neutralisationspunkt der Mischung nicht überschreitet, und wo eine andere Art sich isolirt, wenn man das Fäl- lungsmittel in gröfserer Menge anwendet, kann nicht für ein solches Beispiel gelten, indem derselbe Körper C zuerst auf die in der Mischung befindliche Verbindung + BD, und dann auf die schon abgesonderte und neu entstan- dene Art + ıB einwirkt. In beiden Fällen verbindet sich C mit 2, und die sich aussondernde Art /+ —B kann nur dann vernichtet werden, wenn überhaupt noch C vorhanden und nicht in die Mischung 2 ++ C übergegan- gen ist. Ganz anders würde die Erscheinung sein, wenn das zu der neutra- len Mischung 4 + B hinzugefügte C, die Absonderung der Art 4, oder auch A-+ - BD, und umgekehrt wieder das zu der neutralen Mischung 3 + hin- zugefügte 4, unter gleichen Umständen die Absonderung der Art C oder C+ +B zu bewirken vermögte, so dafs 3 einmal von 4 durch C, und dann wieder von C durch 4 geschieden wird. Dieser Erfolg würde mit demjeni- gen übereinstimmen, nach welchem man voraussetzt, dafs sich die Körper 4 und C, in einer nicht neutralen Mischung von 4, B und C, in welcher nur so viel 4 oder auch nur so viel C vorhanden ist, als 3 zur Neutralisa- tion, d.h. zur Bildung einer Art 42 oder CR erfordert, im Verhältnifs des ihnen zukommenden chemischen Massenverhältnisses in 2 theilen. Es kom- men zwar Beispiele von einem solchen Verhalten wirklich vor, indefs liegen denselben dann besondere Ursachen zum Grunde, und es läfst sich der be-